Masters of Horror: Chocolate; Regie: Mick Garris; USA, 2005.
Darsteller:
Henry Thomas (Jamie), Matt Frewer (Wally), Stacy Grant (Vanessa), Jake D. Smith (Booth), Michael Curtola (Bandmitglied), Katharine Horsman (Sue), Paul Wu (Hooper), Leah Graham (Elaine), Lucie Laurier (Catherine), Ali Staseson (junges Mädchen), Peter Bryant (erster Kriminalbeamter), Ken Dresen (zweiter Kriminalbeamter) …
Inhalt:
Jamie arbeitet in einem chemischen Labor der Lebensmittelbranche und lebt in Trennung von seiner Frau und seinem kleinen Sohn. Sein einsames Dasein ändert sich mit einem Schlag, als er feststellt, dass er zeitweise die Sinneswahrnehmungen eines anderen Menschen verspüren kann – einer attraktiven Frau, wie sich bald herausstellt. Jamies neue Gabe fasziniert ihn, sie führt aber auch zu einigen Verwicklungen und Turbulenzen. Doch das wahre Drama beginnt erst, als Jamie eine Reise unternimmt, um die Frau aus seinen Gedanken kennenzulernen …
Kritik:
Mick Garris ist nicht nur Initiator und Mastermind des gesamten „Masters of Horror“-Projekts, sondern vor allem durch seine Stephen-King-Verfilmungen bekannt, etwa die TV-Miniserien „The Stand“ von 1994 und „The Shining“ von 1997. Dabei hat er sich den Ruf eines soliden, wenn auch nicht unbedingt überragenden Regisseurs erworben, so dass man ihm die augenzwinkernde Hommage, seinem Held Jamie Stephen Kings „Desperation“ als Gutenachtlektüre auf den Nachttisch zu legen, gerne gestattet. Für seinen Beitrag zur Serie, „Chocolate“, griff er indes auf eine seiner eigenen Kurzgeschichten zurück. Der Plot, dass jemand plötzlich die Wahrnehmung eines anderen hat, ist dabei nicht gerade als neu zu bezeichnen, er zieht sich in unzähligen Variationen vor allem durchs Comedyfach, wohl am schrillsten in „Being John Malkovich“ zu bestaunen.
„Chocolate“ ist ganz klassisch als Rückblende aufgebaut: Jamie wird von Kriminalbeamten verhört; offenbar hat er einen Mord begangen. Aus seinen Erzählungen heraus baut sich dann der Film auf, wir erfahren, wie es dazu kam. Garris setzt auf einen ruhigen Erzählfluss, in epischer Breite wird Jamies Leben und Umfeld gezeigt: Nach Trennung von Frau und Sohn zurückgezogen und einsam, dennoch dem einen oder anderen Abenteuer nicht abgeneigt wie One-Night-Stand oder Besuch eines Rockkonzerts – sein Arbeitskollege spielt in einer Punkband. In der ersten Hälfte hat diese Episode auch ihre stärksten Momente, großartig etwa, wie Jamie mitten auf dem Konzert plötzlich in eine andere akustische Welt gezogen wird und nur noch klassische Musik hört. Weniger gelungen, da einfach unglaubwürdig, ist die Szene, wie er auf dem Nachhauseweg beim Autofahren plötzlich in der Parallelwahrnehmung der ihm noch unbekannten Frau landet: „Ich sehe nichts mehr!“, ruft er seinem entgeisterten Beifahrer Wally zu – ohne den Fuß auch nur einen Zentimeter vom Gas zu nehmen.
Eine Geschichte, die vor allem auf psychologische Effekte setzt, steht und fällt natürlich mit dem Hauptdarsteller, und Henry Thomas (der Elliot aus „E.T.“) ist sicher keine schlechte Wahl, verkörpert er doch perfekt den „Nice Guy“ von nebenan, der sich mit seiner Exfrau ebenso gutstellen will wie mit seinem sehr viel extremeren Arbeitskollegen und Freizeitpunk Wally (wunderbare Nebenrolle für Matt „Max Headroom“ Frewer). Dass „Chocolate“ im letzten Drittel dennoch enttäuscht, liegt eher an deutlichen Schwächen des Drehbuchs. So will es die Regie, dass sich Jamie, als er die Frau, die er aus seinen Wahrnehmungs-„Switches“ kennt, endlich tatsächlich kennenlernt, Hals über Kopf auch gleich in sie verliebt, was einfach nicht glaubwürdig rüberkommt. „Bitte halten Sie mich nicht für so einen Stalker!“, fleht er die schöne Catherine an – und verhält sich doch genau wie ein solcher, nicht nur sie, sondern auch den Zuschauer mit seinem penetranten Verhalten nervend. Der mit gelindem Splatter gewürzte Showdown wird dann recht zügig durchgezogen, als hätte es der Regisseur plötzlich eilig gehabt, seine Geschichte zu Ende zu bringen, und hinterlässt so einen etwas schalen Beigeschmack.
Insgesamt ist „Chocolate“ durchaus delektabel und vermittelt wohlig angenehmen Grusel, wie man es von den „Twilight Zone“-Episoden kennt. Gleichzeitig wird man aber das Gefühl nicht los, dass viel vom Potenzial, das die Story bietet, ohne Not verschenkt wird. Bei Jamies Ausflügen ins sinnliche Erleben der Unbekannten werden zwar sattsam Voyeursgelüste befriedigt, inklusive Selbstbefriedigung mit der Brause in der Badewanne, es entwickelt sich aber keine wirkliche Story daraus. Die ganze Person der Catherine bleibt letztlich enttäuschend vage; entsprechend bleibt Lucie Laurier in der Rolle insgesamt etwas unverbindlich, kann ihren Part schon drehbuchbedingt kaum mit Substanz füllen (was sie zum Glück nicht daran hindert, hie und da ihre wohlgeformten Brüste zu zeigen). Fragen in der Art, warum ausgerechnet Jamie ausgerechnet mit Catherines Wahrnehmung kurzgeschlossen wird, stellt man dann schon gar nicht mehr. Was bleibt, ist zugegebenermaßen streckenweise gut in Szene gesetzte Mystery-Unterhaltung, sehr unterhaltsam anzusehen, aber kaum prägenden Eindruck hinterlassend.