Sexual-Terror der entfesselten Vampire

Sexual-Terror der entfesselten Vampire

Sexual-Terror der entfesselten Vampire (OT: Le Frisson des Vampires); Regie: Jean Rollin; Frankreich, 1970.

Darsteller:
Sandra Julien (Isa), Jean-Marie Durand (Antoine), Jacques Robiolles (Vampir), Michel Delahaye (Vampir), Marie-Pierre Castel (blonde Dienstmagd), Kuelan Herce (asiatische Dienstmagd), Nicole Nancel (Isabelle), Dominique (Isolde) …

Inhalt:
Isa und Antoine sind auf ihrer Hochzeitsreise Richtung Italien. Doch davor will Isa noch eine Nacht auf dem Schloss ihrer zwei Vettern verbringen, die sie seit ihrer Kindheit nicht mehr gesehen hat. Dort angekommen, müssen sie erfahren, dass die beiden Vettern am Tag zuvor verstorben sind. Dennoch bleibt das Brautpaar, bewirtet von zwei rätselhaften Dienstmädchen. Bald stellt sich heraus, dass die beiden Vettern als Vampire aktiv sind, und Isa gerät unter den psychischen und sexuellen Einfluss der machtvollen Vampirkönigin Isolde. Antoine will fliehen, doch er muss erkennen, dass die Geschehnisse längst eine Eigendynamik entwickelt haben, gegen die er machtlos ist …

Kritik:
Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre machte Jean Rollin eine ganze Reihe von Filmen, in denen – getränkt vom libertären Geist der Zeit – Vampirismus nur unschwer als Symbol der sexuellen Befreiung zu dechiffrieren ist. „Le Frisson des Vampires“, was man mit „Der Schauer der Vampire“ wohl am besten und so, wie es die deutschen Filmverleiher seinerzeit getan haben, wohl am schlechtesten übersetzen kann, macht in dieser Reihe keine Ausnahme; umgekehrt täte man dem Film grob unrecht, wollte man ihn auf diese zentrale Metapher reduzieren. Tatsächlich ist Rollin hier ein surreales Fest für die Sinne gelungen, ein Meisterwerk auf dem schmalen Grat zwischen Kunst und Trash, ein Grat, den wohl keiner so souverän und selbstverständlich beschreitet wie der französische Avantgarde-Filmemacher Rollin.

Bereits die langgezogene Eröffnungssequenz, schwarzweiß, eine Beerdigung, stimmt den Betrachter auf die surreal-gotische Atmosphäre ein, die den Film prägt. Anschließend sehen wir zwei junge, hübsche Bedienstete des Schlosses mit Kandelabern durch die alten Gemäuer schreiten. Als dann erstmals das junge Hochzeitspaar Isa und Antoine im schicken weißen Cabriolet ins Bild kommt, ist schnell klar, dass ihr „Besuch bei den Vettern auf dem Schloss“ länger dauern wird als geplant. Tatsächlich wird das Paar von der Dorfschönen Isabelle alsbald belehrt, dass die beiden gerade am Tag zuvor gestorben sind, was das namenlose Duo aber nicht daran hindert, in der Nacht darauf quicklebendig in Erscheinung zu treten. Ungewohnt humorvoll lässt Rollin die beiden Blutsauger dabei als eine Art Pat und Patachon der Vampirwelt agieren, äußerst redselig erzählen sie ihren Besuchern ein ums andere Mal die abstruse (und für den Film eigentlich völlig unerhebliche) Geschichte, wie sie, einem alten Familiengeheimnis nachspürend, von Vampirjägern selbst zu Vampiren wurden, die nun unter dem Bann der Vampirgöttin Isolde stehen – diese wiederum wird inszeniert als trashige Amazone, die ihre Brüste mit tödlichen Metallspitzen ausstatten kann und ein äußerst vielseitiges Repertoire an Erscheinungsformen aufweist: der Rollin-Metaphernsprache folgend natürlich aus einer Standuhr, aber auch fontänengleich aus einem Brunnen, im bizarren Ketten-S/M-Outfit einem Vorhang entspringend oder gar wie der Weihnachtsmann aus dem Kamin.

In „Le Frisson des Vampires“ verwendet Rollin Elemente des traditionellen Gothic-Gruselfilms und verfremdet sie mit surrealen Bildern, für die von ihm bewunderte Maler wie René Magritte oder Paul Delvaux Pate gestanden haben. Das reicht von eindeutigen Magritte-Motiven wie dem Sarg auf der Chaiselongue bis hin zu eher subtilen Reminiszenzen wie bestimmte Posen der – natürlich sehr oft unbekleideten – Darstellerinnen. Und auch wenn viele Bilder sehr erkennbar als reine l’art pour l’art angelegt sind wie das Treffen von Isa und Isabelle auf dem Friedhof, die eine in Hochzeitsweiß, die andere in Witwenschwarz, so schafft Rollin doch immer wieder die Kurve, seine extravaganten Assoziierungen stimmig ins Film- und Handlungskonzept einzupassen. Auch die Kameraarbeit von Renon Pollès ist bemerkenswert, im recht gruseligen Gastzimmer von Isa und Antoine scannt er die einfallsreichen Accessoires – etwa ein Totenschädel in einem Goldfischglas – mit gleitender Einstellung gleichsam ab, und in bester Michael-Ballhaus-Tradition gibt es auch schon einmal einen 360-Grad-Schwenk innerhalb einer Gesprächsrunde zu sehen (wobei Ballhaus selbst dieses Stilmittel erstmals 1973 in Fassbinders „Martha“ einsetzte). Doch vor allem erhält der Film seine surreal-psychedelische Note – mit ebenso hippiesken wie hypnotisierenden Gitarrenklängen als i-Tüpfelchen – durch die übertriebenen Farbkompositionen, die bewusst jede Natürlichkeit aus den Bildern treiben. In grellem Blau die Schlossgemäuer, blutrot der Friedhof.

Auch wenn die Plotline einen nicht gerade die Nägel abkauen lässt, ist sie doch interessant und spannend genug, um den Film nicht in Schönheit sterben zu lassen, und so lässt man sich gerne in den Bann ziehen von einer wild bewegten Mixtur aus Horror, Erotik, Kunst und Trash, wie sie wohl nur in Europa und nur in den 70ern entstehen konnte. Und wie sie letztlich auch nur Jean Rollin hinbekommt. Nach dem desperaten Finale – wo anders sollte das Ende schon spielen als an dem Strand mit den charakteristischen, ins Meer hineingehenden Holzpfählen, den jeder Rollin-Fan kennt und liebt? – wacht man abrupt auf und merkt erst dann, wie weit man sich in diese seltsame, bizarre, unwiderstehliche Traumwelt von Rollins märchenhaften, geheimnisvollen und erotischen Vampirgestalten hat treiben lassen.



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