Yeti, der Schneemensch

Yeti, der Schneemensch
Yeti, der Schneemensch (OT: The Abominable Snowman); Regie: Val Guest; Großbritannien, 1957.


Darsteller:
Forrest Tucker (Dr. Tom Friend), Peter Cushing (Dr. John Rollason), Maureen Connell (Helen Rollason), Richard Wattis (Peter Fox), Robert Brown (Ed Shelley), Michael Brill (Andrew McNee), Wolfe Morris (Kusang), Arnold Marlé (Lama), Anthony Chinn (Hauswirt) …

Inhalt:
Der Wissenschaftler Dr. John Rollason ist mit seiner Frau Helen zu Gast in einem tibetanischen Kloster im Himalaya, von wo aus er sich zusammen mit einem bunt zusammengewürfelten Expeditionstrupp unter der Leitung des hartgesottenen Abenteurers Dr. Tom Friend in die Gipfelhöhen begibt. Rollasons Ziel: sich von der Existenz der legendären Yeti-Menschen zu überzeugen, denen er bereits jahrelange Forschungen gewidmet hat. Und tatsächlich stoßen die Expeditionsteilnehmer nach einem Aufstieg voller Strapazen auf Spuren der geheimnisvollen Schneemenschen. Doch mehr und mehr zerwirft sich die Gruppe untereinander, und die Expedition nimmt einen tragischen Verlauf …

Kritik:
Unter den klassischen Fabelwesen des phantastischen Films hat sich auch der Yeti einen eigenen, wenn auch nur kleinen Platz erobern können. Und auch wenn die Existenz eines solchen Geschöpfs auf der Grenze zwischen Mensch und Tier längst ins Reich der Mythologie und der Kryptozoologie verwiesen ist, war dies nicht immer so: 1951 brachte der Bergsteiger Eric Shipton Fotos großer Fußstapfen von einer Himalaya-Expedition zurück, die zu wilden Spekulationen Anlass gaben, und 1954 finanzierte die Daily Mail die bis dahin größte Suchexpedition nach dem geheimnisvollen Schneemenschen, die in Großbritannien ein regelrechtes Yeti-Fieber zur Folge hatten. Im britischen BBC-Fernsehen hatte ein Mystery-Drama namens „The Creature“ Erfolg, in dem Peter Cushing einen Wissenschaftler auf der Suche nach dem Yeti spielte, und so fiel den Hammer Studios die Entscheidung nicht schwer, die Rechte zu erwerben und einen Kinofilm zu diesem spekulativen Thema zu produzieren.

Peter Cushing als Wissenschaftler wurde der vor allem aus Western bekannte US-Schauspieler Forrest Tucker an die Seite gestellt; die Regie übernahm der vielseitige Val Guest, der für Hammer bereits die beiden Quatermass-Filme „Schock“ und „Feinde aus dem Nichts“ inszeniert hatte. Guest legte „Yeti, der Schneemensch“ als Mischung aus Abenteuerfilm und Drama an, das seine Spannung vor allem aus den menschlichen Konflikten innerhalb des Expeditionsteams schöpfte; wohldosiert ließ er aber auch Ingredienzien des Horrorfilms mit einfließen. Genretypisch ist etwa, dass die Yetis – entgegen dem, was der Filmtitel vermuten lässt, sind es mehrere – nur sukzessive und stückweise gezeigt werden, hier ein Fußabdruck, da ein Schatten, dort eine Pranke, und zuvor lange die Frage offengelassen wird, ob es sie überhaupt gibt oder ob die Forscher nur einem Hirngespinst nachjagen.

Gedreht wurde in Schwarzweiß und mit einem anamorphen 2,35:1-Breitbildformat – auf den Filmplakaten mit dem Trademark „Regalscope“, Königsformat, beworben –, was in Verbindung mit den imposanten Aufnahmen der verschneiten, weißen Bergwelt sehr spektakuläre Bilder ergab. Während sich die Schauspieler durch gut gemachte Kulissen des tibetanischen Klosters und der Schneelandschaft in den Bray Studios bewegten, hatte Val Guest zuvor schon mit Doubles Bergszenen in den französischen Pyrenäen abgedreht. Beides wurde so geschickt miteinander verschnitten, dass der Wechsel zwischen Studio- und Außenaufnahmen kaum wahrnehmbar ist, in jedem Fall aber nicht stört. Im Gegenteil bezieht der Film einen ganz besonderen Reiz aus dem Gegensatz zwischen den unendlichen Bergpanoramen und der klaustrophobischen Enge im Inneren des Expeditionszeltes und vermittelt manches Mal beeindruckende Impressionen von Kälte und Weite, die untermauert werden durch einen Soundtrack, der das eisige Pfeifen und Zischen der Winde bewusst in den Vordergrund hebt.

Einmal mehr geht es um die Unvereinbarkeit wissenschaftlicher Selbstlosigkeit mit kommerziellen Zielen der Ausbeutung: Während Dr. John Rollason ganz der idealistische Forscher ist, hat Dr. Tom Friend permanent die Dollarzeichen in den Augen und will den Yeti um jeden Preis fangen und ausstellen – wobei er mit seinen wahren Zielen erst herausrückt, als die Expedition schon unterwegs ist. Sowohl Cushing als auch Tucker können in ihren Rollen voll und ganz überzeugen und man freut sich an etlichen scharfzüngigen Wortgefechten der beiden. Über diesen Konflikt hinaus wirft der Film – der Stimmung der Zeit entsprechend oft mit naivem Pathos – Fragen von existenziell und moralisch noch größerer Tragweite auf: Sind in einer Zeit, in der sich die Menschen selbst zu vernichten drohen, eine Rasse wie die friedliebenden Schneemenschen nicht viel eher die Krone der Schöpfung? Und, ganz fortschrittlich: Hat der Mensch das Recht, in unberührte und intakte Öko- und Lebenssysteme einzugreifen? Die Yetis werden als hoch entwickelte Spezies voll natürlicher Weisheit idealisiert und erfüllen die Funktion eines Spiegels, um dem Menschen seine Verblendung und Eitelkeit vorzuführen.

Auch wenn ein insgesamt gemächliches Tempo vorherrscht und der Film sein Alter von mehr als 50 Jahren natürlich nicht verleugnen kann, lässt man sich gerne auf dieses dramaturgisch bestens ausformulierte Abenteuer ein. Die Schauspieler sind mit Inbrunst und Engagement bei der Sache, und speziell der – hier noch ungewohnt jung aussehende – Peter Cushing bekleidet hier erstmals eine Rolle mit Bravour, wie er sie in den nächsten Jahren noch etliche Male spielen sollte. So manches „Nebendrama“ wie der an mangelnder Konstitution scheiternde Fotograf im Team und interessante Figuren in der zweiten Reihe wie der Lama, der die Rolle des warnenden Orakels spielt, oder die fürs damalige Frauenbild ungewohnt selbstbewusste und initiative Helen, tragen ihren Teil dazu bei, dieses frühe Hammer-Werk zu einem spektablen Klassiker zu machen.

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