Der Kuss des Vampirs

Der Kuss des Vampirs

Der Kuss des Vampirs (OT: The Kiss of the Vampire); Regie: Don Sharp; Großbritannien, 1963.

Darsteller:
Clifford Evans (Professor Zimmer), Edward de Souza (Gerald Harcourt), Noel Willman (Dr. Ravna), Jennifer Daniel (Marianne Harcourt), Barry Warren (Carl Ravna), Brian Oulton (erstes Sektenmitglied), Noel Howlett (Pater Xavier), Jacquie Wallis (Sabena Ravna), Peter Madden (Bruno Bernard), Isobel Black (Tania), Vera Cook (Anna), John Harvey (Polizeimeister) …

Inhalt:
Irgendwo in Europa, um 1910: Gerald und Marianne sind mit ihrem Automobil auf Hochzeitsreise und bleiben wegen Benzinmangels in einem kleinen Dorf hängen. Dabei lernen sie den geheimnisvollen Dr. Ravna kennen, der mit Sohn und Tochter das Schloss auf dem Hügel über dem Dorf bewohnt. Er lädt sie auf einen Maskenball ein, in dessen Verlauf Marianne von den Schlossbewohnern, die sich als Vampire entpuppen, entführt wird. Ihrem verzweifelten Mann erzählen nun alle, sie hätten seine Frau nie gesehen. Hilfe bekommt er schließlich vom trinkfesten Professor Zimmer – denn dieser hat noch eine eigene Rechnung mit den Vampiren zu begleichen …

Kritik:
Nach den Erfolgen von „Dracula“ (1957) und „Dracula und seine Bräute“ (1960) hatten die Hammer Studios natürlich Blut geleckt, was Vampirfilme angeht. Regie führte diesmal allerdings nicht Terence Fisher, sondern mit Don Sharp ein absoluter Horrorfilm-Neuling, der sich zunächst einige der Hammer-Erfolge ansah, um in die Materie eingeweiht zu sein. Sharp fand Gefallen am Genre, entschied sich aber gleichzeitig für einen interessanten eigenen Weg, der sich vom recht stereotypen Spannungsaufbau und der Linearität der Dracula-Filme auffallend abhebt. So bietet schon die Eingangssequenz einen recht drastischen Schocker: Professor Zimmer treibt bei der Beerdigung seiner Tochter unvermittelt einen Spaten in den Sarg, ein Schrei ertönt, Blut quillt, entsetzt stiebt die Trauergesellschaft auseinander. Dann wird aber bewusst das Tempo herausgenommen, sehr langsam, sehr ruhig baut der Film das Bedrohliche auf.

Wie bei allen Hammer-Filmen dieser Zeit erfreut sich auch hier das Auge an den prächtigen Kulissen, der liebevollen Mise en scène und den satten Technicolor-Farben, wobei der fantastisch inszenierte Kostümball mit Tanz, Orchester und befremdlichen Masken unbestreitbar den Höhepunkt bildet. Hinzu kommt, dass durchweg alle Rollen hervorragend besetzt sind. Clifford Evans macht sich als Helsing-Ersatz mehr als prächtig, allerdings wird ihm seine Verwandlung vom verbitterten, gebrochenen Trinker zum entschlossen handelnden Vampirjäger vom Drehbuch etwas zu abrupt abverlangt. Noel Willman, von seiner Physiognomie her Christopher Lee nicht ganz unähnlich, balanciert seinen Part des Obervampirs gelungen zwischen Distinguiertheit und diabolischer Ausstrahlung, gepaart mit einem Hauch von Melancholie. Auch regietechnisch wartet Sharp mit einigen Bonbons auf, etwa dem gelungenen Hin- und Herschneiden zwischen Parallelhandlungen – die Harcourts machen ihren Besuch auf dem Schloss, während Professor Zimmer auf dem Friedhof von der vampirgewordenen Tochter der Wirtshausleute gebissen wird – oder verschwommen-wackeligen Point-of-View-Shots aus Sicht des verkaterten und benommenen Geralds.

Bewusst bricht Don Sharp aus dem wohldefinierten Reglement des Vampirmythos à la Bram Stoker mit seinen streng festgelegten Requisiten wie Holzpflock oder schwarzes Cape aus, nicht ohne dabei einige Inkonsequenzen in Kauf zu nehmen. Vampirismus erscheint hier eher als eine Art Krankheit, wenn nicht sogar als selbstverschuldetes Schicksal, das man sich durch schlechten Umgang zuzieht. Die Tochter von Professor Zimmer zieht etwa das Lotterleben in der Stadt dem drögen Dorfleben vor und lässt sich mit den „sogenannten vornehmen Kreisen“ ein – um prompt als Vampirin zurückzukehren. Professor Zimmer:

Trifft der Teufel einen Mann oder eine Frau mit dem furchtbaren Fluch des Vampirs, hat der Unglückliche zwischen zwei Möglichkeiten zu wählen: Entweder er sucht Gott durch die Kirche und bittet um Absolution – oder er hat den Wahn, dass diese schmutzige, widerliche Perversität ein neues, wunderbares Erlebnis bedeutet, dass nur Auserwählten vorbehalten ist.

Entsprechend werden die Vampire hier auch als Sekte dargestellt, die eher Satanismus und Teufelskult propagiert als dass sie der reinen Erhaltung der eigenen Art dient.

Dass Marianne letztlich Opfer der Vampire wird, zeichnet sich folgerichtig schon vorher ab durch ihre Affinität zum eleganten und kultivierten Lebensstil der begüterten Schlossbewohner. Als Dr. Ravnas Sohn Carl auf dem Flügel ein selbstkomponiertes Stück zum Besten gibt (Hammers Hauskomponist James Bernard hat hier wie auch beim übrigen Soundtrack Großartiges geleistet), ist sie so hingerissen, dass sie in eine tiefe Trance fällt, und auf dem Schlossball trennt sie sich sofort von ihrem Mann – denn der smarte Carl ist auch ein formvollendeter Tänzer. Der verführerischen Noblesse der Vampire hat Gerald wenig entgegenzusetzen. Er ist ein Spießer, der den Tag mit leichten gymnastischen Übungen beginnt und in fast allen kritischen Situationen versagt. Zwar verfügt er über ein Automobil, doch ist dies nur von seinem Vater geliehen; und im Hotel entblödet er sich nicht, zuerst nach den Zimmerpreisen zu fragen. Auf dem vornehmen Ball gießt er sich einen hinter die Binde und macht einen Narren aus sich, während die Vampire hinter seinem Rücken seine Frau entführen.

Am nächsten Morgen streiten sowohl die Vampire als auch die Dorfbewohner schlichtweg ab, Geralds Frau überhaupt jemals gesehen zu haben. Was offensichtlich eine Reminiszenz an Hitchcocks „Eine Dame verschwindet“ von 1938 ist, wirkt hier aber aufgesetzt und wenig glaubwürdig: Warum bringen die Vampire Gerald nicht einfach um oder machen ihn zu ihresgleichen, statt ihm so eine blöde Geschichte aufzutischen? Allerdings handelt es sich zum Glück nur um ein kurzes Intermezzo, schon bald wird mit dem von neuer Willenskraft beseelten Professor Zimmer das Finale eingeläutet. Er beschwört einen Schwarm Fledermäuse, der sich über die Vampire her- und so dem Spuk ein Ende macht. Das scharfe DVD-Bild macht zwar die wahre Herkunft der Tiere aus dem nächsten Woolworth erbarmungslos deutlich und lässt sogar die Fäden erkennen, an denen die Gummiviecher hängen, dennoch weiß das abschließende Massaker durch ausgefeilte Regie- und Schnitttechnik durchaus zu überzeugen. Insgesamt ist „Der Kuss des Vampir“ (so der nicht ganz dudenfeste alte Verleihtitel) ein hervorragend inszeniertes Gruselvergnügen mit blendend aufgelegten Darstellern geworden, dem man kleinere Skriptschwächen gerne nachsieht.


Beitrag veröffentlicht

in

von