The Fall of the House of Usher (Kurzfilm); Regie: James Sibley Watson, Melville Webber; USA, 1928.
Darsteller:
Herbert Stern (Roderick Usher), Hildegarde Watson (Madeline Usher), Melville Webber (Reisender).
Inhalt:
Der nervlich angeschlagene Roderick Usher lebt mit seiner Schwester Madeline in einem einsamen Herrenhaus, das sich über einen Sumpf erhebt. Als Madeline in eine tiefe Ohnmacht fällt, hält er sie für tot und bestattet sie in der Gruft unter dem Haus. Doch Madeline ist noch am Leben und entsteigt ihrem Sarg … mit entsetzlichen Folgen.
Kritik:
„Der Untergang des Hauses Usher“ gehört zu den wohl bekanntesten Erzählungen von Edgar Allan Poe und wurde mehrfach verfilmt. Der nur 13 Minuten lange experimentelle Avantgarde-Kurzfilm von Watson und Webber, beides Harvard-Absolventen, ist hierbei eine von zwei im Jahre 1928 entstandenen Verfilmungen, die zweite entstand in Frankreich unter der Regie von Jean Epstein und der Mitwirkung von Luis Buñuel. Während James Watson im Wesentlichen für die Kameraarbeit verantwortlich zeichnete, geht das Artwork auf Melville Webber zurück, der als Kunsthistoriker, Archäologe, Maler und Poet tätig war. Die Darsteller sind Laien; als Drehort diente ein alter Stall.
Der Film kommt ganz ohne Zwischentitel aus und erzählt die Geschichte in einer symbolistischen Bildsprache, die – mit wundervoll windschiefen Kulissen und liebevollen Art-déco-Elementen – unverkennbar an den deutschen Expressionismus Anfang der 20er Jahre von Filmen wie „Das Cabinet des Dr. Caligari“ oder „Nosferatu“ anknüpft. Nur hin und wieder werden in wabernder Typografie äußerst effektvoll einzelne Wörter über das Geschehen geblendet, etwa „beat“ für Madelines Herzschlag, „scream“ für ihre Entsetzensschreie und „crack“ für ihren Ausbruch aus dem Sarg. Optische Effekte wie Prismen, Überblendungen, Schattenwurf und Kaleidoskopbilder machen zum einen die nervliche Zerrüttung von Roderick Usher, zum anderen auch den Horror des Lebendigbegrabenseins deutlich.
Auf eine narrative Herangehensweise wird weitgehend verzichtet; die Erzählung selbst wird als bekannt vorausgesetzt. Auffallend ist insbesondere, dass der Reisende und Besucher hier kaum in Interaktion tritt. Die Poe’schen Topoi handelt der Film weitgehend in Symbolen pars pro toto ab: Der Zylinder steht für den Reisenden, Sarg, Hammer und die abwärts führende Treppe werden wiederholt als abstrahierte Bilder für Tod, Gruft und Bestattung eingesetzt. Erstaunlich gut wird so die Essenz der Erzählung eingefangen; Watson und Webber gelingen Bilder, die lange nachwirken, wenn man sich auf den expressionistischen Stil einlässt. Die Atmosphäre kommt der Visualisierung eines unheimlichen, bedrückenden Fiebertraums gleich. Einzigartig!
Ursprünglich war der Film als reiner Stummfilm erschienen, 1959 steuerte dann der Komponist Alec Wilder eine von James Watson autorisierte Filmmusik bei, die sehr gut zu den Bildern passt. Auf den einschlägigen Videoplattformen lassen sich jedoch auch viele weitere interessante Vertonungen finden. Die hier eingebettete Version mit der Wilder-Musik liegt auf Archive.org.