Frankenstein

frankenstein_1910

Frankenstein (Kurzfilm); Regie: J. Searle Dawley; USA, 1910.

Darsteller:
Augustus Phillips (Frankenstein), Mary Fuller (Frankensteins Verlobte Elizabeth), Charles Ogle (das Monster) …

Inhalt:
Der angehende Arzt Frankenstein entdeckt bei seinen Studien das Geheimnis von Leben und Tod und will ein Lebewesen erschaffen. Doch es entsteht ein Monster, welches sich schon bald gegen seinen Schöpfer wendet. Wird Frankenstein sich selbst und seine Verlobte Elizabeth vor der Inkarnation des Bösen retten können?

Kritik:
Bereits 1910, also lange vor der berühmten filmischen Interpretation von James Whale mit Boris Karloff, gab es eine Verfilmung von Mary Shelleys legendärem Roman „Frankenstein“. In Auftrag gegeben hatte sie kein Geringerer als der Erfinder Thomas Alva Edison, der damals mit seinen Edison Productions auch in der prosperierenden Filmbranche engagiert war. Regisseur war James Searle Dawley, welcher davor auch schon das Grimm’sche Märchen „Hänsel und Gretel“ adaptiert hatte. Der nur rund 12 Minuten lange Kurzfilm galt lange als verschollen und wurde erst Mitte der 1970er Jahre in einem privaten Filmarchiv wiederentdeckt.

Dawley hielt sich relativ streng an die literarische Vorlage und schaffte es dabei, die Geschichte in der Kürze der gegebenen Zeit so schlüssig zusammenzufassen, dass sie auch für jemanden, der das Buch nicht kannte, Sinn ergab. Es gibt nur wenige Schauplätze ausschließlich in geschlossenen Räumen und die Kamera verbleibt in statischer Zuschauerposition, so dass eher der Eindruck eines abgefilmten Theaterstücks entsteht. Der Theaterwelt entstammten auch die Darsteller; und was das leicht übertriebene Over-Acting der frühen Stummfilmtage angeht, macht auch dieser Film keine Ausnahme.

Nach einer recht kurzen Einstellung, in der Frankenstein Abschied von seiner Verlobten nimmt, um sein Medizinstudium aufzunehmen, macht die Handlung erst einmal einen Sprung von zwei Jahren. Frankenstein scheint im Studium enorme Fortschritte gemacht zu haben; brieflich teilt er Elizabeth mit, dass er das Geheimnis von Leben und Tod entdeckt habe und nun im Begriff sei, eine Kreatur zu erschaffen, welche das perfekteste menschliche Wesen werden würde, welches die Welt je gesehen habe. Was in der nächsten Einstellung dann auch geschieht – eine Texttafel klärt uns allerdings vorher darüber auf, was „das Böse in Frankenstein“ tatsächlich erschaffen wird: ein Monster.

Die Erschaffung des Monsters selbst ist tricktechnisch durchaus beeindruckend umgesetzt. In einem Raum, der von einem Skelett in einem Sessel dominiert wird – es trägt zum Monster nichts bei, sondern soll wohl nur für Atmosphäre sorgen –, rührt Frankenstein eine alchemistische Suppe an, die er in einen großen Kessel gießt. Diesem entsteigt dann eine Art Flammenwesen, das sukzessive menschliche Gestalt annimmt. Hierfür wurde eine aufwendige, mehrschichtige Puppe gefertigt, die dann verbrannt wurde. Der Film zeigt den Verbrennungsprozess einfach rückwärts. Sehr schön ist in dieser recht langen Szene auch umgesetzt, wie Frankensteins freudige Erwartung allmählich in Entsetzen umschlägt, als er erkennt, was er da erschaffen hat.

Charles Ogle als Monster – annähernd zweihundert Darsteller sollten ihm in dieser Rolle noch folgen – kann mit hoher Stirn und wirrem Haar durchaus beeindrucken. In den folgenden Szenen erscheint die Kreatur mehrfach unvermittelt und erschreckt Frankenstein – und später auch Mary – bis hin zur Ohnmacht. Doch letztlich bleibt das Monster in seinem Verhalten widersprüchlich. Es greift Frankenstein nicht aktiv an und versteckt sich auch willig vor Elizabeth hinter einem Paravent, als Frankenstein ihm dies befiehlt. Ist das Monster überhaupt real existent oder ist es nur eine imaginäre Manifestation der dunklen, bösen Seite von Frankenstein? Zum Schluss scheint sich der Film für letztere Lesart zu entscheiden, denn das Monster löst sich buchstäblich in Luft auf, als es sich im Spiegelbild sieht – es wurde, wie uns eine weitere Texttafel wissen lässt, von der Liebe besiegt. Es existiert dann noch eine Weile nur im Spiegel weiter, bis Frankenstein auch diese letzte Erscheinungsform bannt: Puff, verwandelt es sich in Frankenstein selbst. Glücklich und befreit umarmt er seine Verlobte.

Sehr viel Horror geht von dieser frühen Darstellung des wohl berühmtesten Monsters der Filmgeschichte natürlich nicht aus, doch schon aufgrund der interessanten Szene der Monsterentstehung ist der kurze Stummfilm, welcher auf Archive.org frei verfügbar ist, in jedem Fall eine Sichtung wert.


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