Dracula

Dracula (1931)»Hören Sie die Wölfe? Das sind die Geschöpfe der Nacht. Welch wunderbare Musik sie machen …« (Dracula)

Die Handlung dürfte sattsam bekannt sein: Renfield, ein englischer Immobilienmakler, reist in die rumänischen Karpaten, wo er den Grafen Dracula, welcher ein Anwesen in England erwerben möchte, aufsuchen will. Im Dorf nahe des Schlosses sind die Bewohner entsetzt ob seines Vorhabens und warnen den fremden Reisenden. Der Wirt des Gasthauses weiß Bescheid: „Auf Draculas Schloss hausen Vampire! Dracula – und seine Frauen! Nachts werden sie oft zu heulenden Wölfen – oder zu Fledermäusen. Wenn die Sonne untergeht, dann kommen sie heraus aus ihren Särgen. Dann fallen sie über ihre Opfer her und trinken ihr Blut.“


Doch Renfield lässt sich von der Weiterreise nicht abhalten. Nach einer unheimlichen Kutschfahrt mit einem sinistren Kutscher, der sich in eine Fledermaus verwandelt (auch hier schon: Bela Lugosi!), kommt er im Schloss an und isst mit Dracula zu Abend. Betäubt durch ein Schlafmittel, welches ihm der finstere Schlossherr heimlich verabreicht, bekommt er nicht mehr mit, wie die drei Bräute Draculas in den Raum kommen und sich seiner bemächtigen wollen. Indes, Dracula scheucht sie zurück, Renfield ist seine Beute.

Szenenwechsel: Ein unheimliches Geisterschiff, die „Vesta“, wird an der englischen Küste angetrieben. Als einziger Überlebender ist Renfield an Bord – und als Untoter selbstverständlich Dracula. Renfield landet im Sanatorium von Dr. Seward, und Dracula geht bald in des Doktors Salon ein und aus, um den Kontakt zu Renfield nicht abreißen zu lassen. Sein erstes Opfer wird – nach einer eher beiläufig vernaschten Blumenverkäuferin – Lucy Weston, eine Freundin von Sewards Tochter Mina. Bevor auch Mina in die Fänge von Dracula gerät, tritt Professor van Helsing auf den Plan und gemeinsam mit Minas Verlobtem Jonathan Harker macht er das Versteck von Dracula ausfindig, um das dämonische Treiben ein für allemal zu beenden.

Dracula, 1931
Liebevoll gemalte Kulissen schaffen Atmosphäre.

„Zu beiden Seiten des Borgo-Passes erheben sich wilde, zerklüftete Felsen. Hier findet man verfallene Schlösser aus längst versunkenen Epochen.“ Es ist Carla Laemmle, die Nichte des Filmproduzenten und Gründers des Universal-Studios Carl Laemmle, die in einer kleinen Nebenrolle als Mitreisende in der Kutsche die ersten Worte im ersten bedeutenden Horror-Tonfilm der Filmgeschichte sprechen darf. Bei den wilden, zerklüfteten Felsen handelt es sich bei der reinen Studioproduktion freilich um Hintergrundgemälde, doch gerade deren offensichtliche Künstlichkeit und stilistische Überhöhung machen den Reiz so mancher Szene aus.

Gürteltiere und OpossumsInsgesamt stellen die ersten 17 Minuten des Films, die in Transsylvanien und auf Draculas Schloss spielen, den weitaus dynamischsten Teil und liefern die eindrucksvollsten und expressionistischsten Bilder. Schroffe Felsen, unheimliche Landschaften, düstere Schlossgemächer, Fledermäuse und Spinnengewebe: Hier ist alles sehr gothic und zwar aus heutiger Sicht bestimmt nicht gruselig, aber sehr atmosphärisch inszeniert, bis hin zu den viel zitierten Gürteltieren (!) und Opossums, die das Schloss bevölkern – waschechte Ratten wollte man damals dem Publikum nicht zumuten.

Draculas Bräute
Atmosphäre pur: Dracula gebietet über seine drei Bräute.

Der in London spielende Teil des Filmes fällt dann deutlich ab und wirkt aus heutiger Sicht über lange Strecken statisch und altbacken. Hier macht sich negativ bemerkbar, dass dem Film nicht – wie ursprünglich geplant – der Roman von Bram Stoker zugrunde liegt, sondern eine Bühnenfassung von 1927, die damals äußerst populär war. Und so wirkt der Film auch viel zu oft wie ein abgefilmtes Bühnenstück, die Schauspieler stehen oder sitzen irgendwo herum und haben alle viel zu viel Text, um retrospektiv zu erzählen, was man viel besser und schöner hätte zeigen können, wenn es das Budget hergegeben hätte: etwa Draculas Erscheinen als Wolf, seine nächtlichen Attacken auf Mina oder Minas Begegnung mit der untoten Lucy.

Was den Film letztlich aus der Mittelmäßigkeit rettet, ist Bela Lugosi. Dem Grafen Dracula, bei Stoker noch als abstoßende Gestalt beschrieben, wie sie auch Max Schreck in „Nosferatu“ verkörpert hat, verleiht er eine diabolische und für die Maßstäbe der 30er Jahre schon fast erotisierende Aura. Sein exaltiertes Spiel mit theatralischen Gebärden wirkt nie überkandidelt, sondern betont stets das Besondere und Geheimnisvolle, was die Person Dracula umgibt, ist stets von einer finsteren Würde. Lugosi als Dracula ist, man kann es nicht anders sagen, eine Ikone, und man muss ihn in dieser Rolle seines Lebens einfach mal gesehen haben. Die Regie und Kameraführung weiß dabei mit akzentuierter Ausleuchtung von Lugosis Augen den übernatürlichen Charakter von Dracula und seine hypnotische Kraft dezent zu betonen, auch wenn Kameramann-Legende Karl Freund („Metropolis“) in diesem Film ansonsten keine großen Akzente zu setzen weiß. Die spanische Version, in den gleichen Kulissen jeweils zeitversetzt nachts gedreht, gilt Filmkennern als die cineastisch besser gelungene Variante.

 Bela Lugosi
Hypnotischer Verführer im Frack: Bela Lugosi als Dracula.

Spielt Bela Lugosi als Casanova-Vampir ganz offensichtlich die männliche Hauptrolle, so kommt die heimliche, leider viel zu kurze weibliche Hauptrolle sicher Frances Dade zu, denn die von ihr verkörperte laszive Lucy Weston, die von Dracula fasziniert ist, ist allemal interessanter zu erleben als die farblose Mina „Ich halte mich lieber an etwas Normaleres“ Seward (von Helen Chandler wenig eindrucksvoll gespielt), und auch der Rest der Crew bleibt kaum im Gedächtnis hängen: Edward van Sloan spielt einen eher betulichen Professor van Helsing – von einem „Dreamteam“ à la Christopher Lee versus Peter Cushing sind wir hier weit entfernt –, während David Manners‘ Rolle als John Harker von vornherein undankbar als reiner Fragesteller und Stichwortgeber angelegt ist, um mit den so aus der ständig redenden Mina herausgelockten Antworten das Publikum über die Geschehnisse auf dem Laufenden zu halten. Und im Showdown wünscht man sich bei Johns ewigem „Mina, Mina!“-Gerufe, Dracula würde hinter einer Säule hervorschießen und ihm endlich das Maul stopfen. Doch es kommt, wie wir wissen, anders, auch wenn dem Publikum die letzte Pfählung – wie so vieles andere auch – vorenthalten wird. Einzig Dwight Frye als wahnsinniger Renfield bringt etwas Abwechslung in die dröge parlierende Gesellschaft.

Dracula, 1931
Ermüdende Gesprächsrunden: Van Helsing, Mina und John auf der Veranda.

Als Gruselfilm oder gar als Horrorfilm funktioniert „Dracula“ aus heutiger Sicht natürlich gar nicht mehr, auch wenn er, von besagten Längen abgesehen, durchaus zu unterhalten und im ersten Drittel sogar zu fesseln weiß. Zu seiner Zeit hatte der Film allerdings eine ähnlich schockierende Wirkung wie 1958 das Remake der Hammer-Studios mit Christopher Lee, wie 1960 Hitchcocks „Psycho“ oder wie 1968 Romeros „Die Nacht der lebenden Toten“ das jeweilige Publikum der Zeit zu verstören wussten. Gänzlich neu für das Genre war, dass das Übernatürliche nicht am Ende des Films in eine rationale Erklärung „aufgelöst“ wurde, wie es in den 20er Jahren noch gang und gäbe war – etwa in Paul Lenis „The Cat and The Canary“ („Spuk im Schloss“) von 1927.

Und natürlich hat „Dracula“ einen Filmmythos geschaffen, einen ewig reichenden Stoff der Inspiration, der in hunderten von Filmen unterschiedlichster Qualität immer wieder aufgenommen wurde und mit „Draculas Tochter“, „Draculas Sohn“ und „Draculas Haus“ in den Jahren 1936 bis 1945 noch drei direkte und teils durchaus sehenswerte Sequels (allerdings ohne Lugosi) nach sich zog (erhältlich in der sehr empfehlenswerten „Monster Legacy DVD Collection“, die alle bedeutenden klassischen Horrorfilme der Universal-Studios versammelt).

Die Einzel-DVD „Dracula – Monster Collection“ bietet ein für das Alter des Films gutes und klares Bild, außerdem wird eine etwa halbstündige Dokumentation namens „Der Weg zu Dracula“ mitgeliefert, in der die schon erwähnte Carla Laemmle zu Wort kommt, aber auch die Söhne von Bela Lugosi und Dwight Frye und Horrorguru Clive Barker. Als besonderes Bonbon kann man bei der Filmmusik wählen zwischen dem Original-Score, der unter anderem Ausschnitte aus Tchaikovskys „Schwanensee“ und Franz Schuberts 8. Symphonie enthält, und einem neuen Score von Philipp Glass von 1999, gespielt vom Kronos Quartett.

Dracula, USA 1931; Regie: Tod Browning; Darsteller: Bela Lugosi (Dracula), Helen Chandler (Mina Seward), David Manners (John Harker), Dwight Frye (Renfield), Edward van Sloan (Prof. van Helsing) u.a. – s/w, 75 min, FSK 12.



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