Draculas Tochter

draculas_tochter_01.jpg»Diese Musik erzählt von dunklen, von bösen Dingen, von Orten voller Schrecken!« (Sandor)

Immerhin fünf Jahre dauerte es, bis die Universal Filmstudios 1936 den Dracula-Stoff wieder aufnahmen, und, sicher ermutigt durch den Erfolg von „Frankensteins Braut“ ein Jahr davor, beschlossen, auch den Vampirmythos um eine weibliche Variante zu bereichern. Hierzu griff man wieder auf Bram Stoker zurück: „Dracula’s Guest“ war ursprünglich als Kapitel seines Dracula-Romans geplant, erschien aber dann doch als eigenständige Erzählung. Ferner finden sich im Film deutliche Anleihen an „Carmilla“, eine Geschichte von Joseph Sheridan Le Fanu um eine lesbische Vampirin. Das Ergebnis kann man nur als äußerst gelungen bezeichnen: ein dynamisches filmisches Potpourri, welches dramatische Elemente um Fluch und Erlösung mit klassischen Motiven der Kriminalstory durchmischt und dabei auch der Komik viel Raum lässt.

„Draculas Tochter“ schließt direkt ans Ende von „Dracula“ an: Zwei Polizisten kommen in die Kellergruft des Vampirs und finden die Leichen von Graf Dracula und Renfield, außerdem treffen sie Prof. van Helsing (als einziger Schauspieler aus dem Vorgängerfilm wieder mit dabei: Edward van Sloan) an, der in aller Zufriedenheit gleich zugibt, Dracula einen hölzernen Pflock durchs Herz getrieben zu haben. Getötet habe er ihn allerdings nicht, das müsse man doch einsehen: „Man kann niemanden ermorden, der bereits seit 500 Jahren tot ist.“ Verständlich, dass man ihm keinen Glauben schenkt, und so sieht sich van Helsing bald als Gefangener von Scotland Yard wieder und muss die Hilfe seines Freundes Jeffrey Garth, eines angesehenen Psychiaters, erbitten.

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Es knistert: Gräfin Marya Zaleska und Psychiater Dr. Jeffrey Garth lernen sich kennen.

Zeitgleich taucht in den eleganten Abendsalons von Londons Upperclass eine neue Gestalt auf: die rätselhafte Gräfin Marya Zaleska, eine Künstlerin aus Ungarn, und … der Zuschauer weiß es schon … Draculas Tochter. Denn zuvor schon bemächtigt sie sich Graf Draculas Leiche und verbrennt diese in einem obskuren Ritual, um sich so vom bösen Vampirfluch zu befreien, der auf ihr lastet. Allerdings misslingt dies, sie kann die Dämonen der Nacht nicht abschütteln. Nun setzt sie ihre Hoffnung dahinein, dass der Psychiater Jeffrey Garth – den sie zufällig auf einer Soiree kennenlernt – sie von ihrer Obsession befreien kann, ohne dass sie ihn direkt in die dunkle Seite ihres Daseins einweihen muss. Als auch dies scheitert, findet sie sich mit ihrem Schicksal ab, will aber nun Garth als Gefährten auf ihre dunklen Wege mitnehmen. Als Druckmittel entführt sie seine Sekretärin Janet nach Transsylvanien und stellt den alsbald nachgereisten Garth vor die klassisch sadistische Wahl: „Ihr Leben gegen Janets! Bleiben Sie hier, bei mir … bei den Untoten.“ Doch auch van Helsing und die Männer von Scotland Yard sind bereits auf dem Weg zu Draculas Schloss, und schnell kommt es zum – wie so oft bei den alten Universalfilmen etwas überhasteten – Showdown.

Der auch heute weithin unbekannte Film wurde kein Kassenschlager, das Publikum wollte einen weiblichen Dracula wohl einfach nicht akzeptieren. Dabei legt Gloria Holden, die zum Drehzeitpunkt erst 28 Jahre alt war, durch ihre herbe Art und das strenge Make-up aber älter wirkt, hier eine schauspielerische Glanzleistung hin. Es geht eine kühle, aber dennoch hocherotische und gleichzeitig äußerst melancholische Aura von ihr aus, die jede Szene mit ihr zu einem cineastischen Erlebnis werden lässt. Zu den Höhepunkten des Films zählt die stilsicher ins Bild gesetzte Verbrennung von Draculas Leiche (bei der wir so nebenbei erfahren, dass Vampire der zweiten Generation durchaus ein Kreuz in der Hand halten können, so sie es nur nicht ansehen), mehr aber noch der nachfolgende Dialog zwischen ihr und ihrem Diener Sandor: Sie, am Flügel ein altes Wiegenlied intonierend, hat neue Hoffnung auf ein normales Leben geschöpft; Sandor – der auf ein ewiges Leben an ihrer Seite hofft – redet ihr diese aus. Die qualvolle Zerrissenheit des verfluchten Wesens zwischen Mensch und Monster – hier wird sie in wenigen Worten und einfachen, aber wirkungsvollen Metaphern auf den Punkt gebracht. „Was siehst du in meinen Augen?“, fragt die Verdammte verzweifelt, und unerbittlich antwortet ihr Diener: „Den Tod.“ Schließlich darf auch die Szene nicht unerwähnt bleiben, in der die vampirische Gräfin ein junges Straßenmädchen zunächst nur malen will, dann aber – sie kommt gegen den Fluch nicht an – doch anfällt. Es ist eine Szene, die, so harmlos sie aus heutiger Sicht auch wirken mag, dem Film einen gewissen Kultstatus in Lesbenkreisen beschert hat, eine Szene voll subtiler Spannung und Erotik.

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Gefangen in der ewigen Nacht: Draculas Tochter nebst Faktotum Sandor.

Doch auch die anderen schauspielerischen Leistungen können sich sehen lassen: Edward van Sloan spielt den nunmehr in Schwierigkeiten steckenden van Helsing etwas emphatischer als im ersten Teil, und Otto Kruger übertreibt es zwar leider ein wenig mit der Arroganz der von ihm dargestellten Arztfigur, gerne aber verfolgt man die herrlichen Wortgefechte zwischen ihm und Marguerite Churchill, die die Rolle der in ihn verliebten und eifersüchtigen Sekretärin mit Verve und Witz spielt. Als Highlight muss man schließlich die Darstellung des Sandor durch Irving Pichel herausstellen, der dem unheimlichen Diener eine diabolische und abgründige Tiefe verleiht, die einen wünschen lässt, dass die Regie diese Rolle noch etwas feiner ausziseliert hätte.

Auch der in den Universal-Filmen stets vorhandene Comic relief, hier in Form der beiden Polizisten, ist zwar ein wenig ausgewalzt, funktioniert aber letztlich gut, wenngleich die weniger dick aufgetragenen Pointen besser zünden, sei es der Running Gag mit des Psychiaters Schwierigkeiten beim Binden seiner Fliege oder sei es der tuntige Inspektor von Scotland Yard, wie er im Bett liegend Telefonate entgegennimmt, während sein Butler seine Briefmarkensammlung sortieren muss.

Vergleicht man das Sequel mit dem Original, so mag man kaum glauben, dass nur fünf Jahre zwischen den beiden Filmen liegen. War „Dracula“ in seiner Machart noch deutlich in der Stummfilmära verhaftet, so wirkt „Draculas Tochter“ weitaus moderner, kommt in den heiteren Szenen fast wie eine Screwballkomödie der 50er rüber und weiß in den dramatischen Szenen durch psychologisch anspruchsvollere Verflechtungen zu punkten. Und so nebenbei ist das Dracula-Genre mit dem Sequel auch kommunikations- und transporttechnisch in der Neuzeit angekommen: Segelschiff und Kutsche haben ausgedient, man telefoniert und telegraphiert, fährt Auto, und nach Transsylvanien entschwindet die Gräfin ganz flott mit dem Flugzeug.

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Kutsche, Dorf und Schloss: Reminiszenzen an eine versunkene Welt.

Die Szenen im transsylvanischen Dorf – wo à la Frankenstein gerade in voller Trachtenpracht Hochzeit gefeiert wird – und im Schloss wirken dagegen wie liebevolle Reminiszenzen an längst vergangene Zeiten, inklusive des (übrigens aus Spritzzement bestehenden) Spinnennetzes, das am Eingang hier wieder auftaucht. Bloß die Gürteltiere durften diesmal nicht mitspielen. Und obgleich manche Zitate direkt aus „Dracula“ übernommen sind – auch Gloria Holden darf einmal anzüglich „I never drink … vine“ sagen – und sogar ganze Einstellungen wiederholt werden wie etwa die im Seziersaal, sind die Bezugspunkte zwischen beiden Filmen eher spärlich gesät und „Draculas Tochter“ ist ein eigenständiges Werk geworden, dem zwar die genialen und magischen Einstellungen insbesondere der ersten 17 „Dracula“-Minuten abgehen, das aber insgesamt runder, in sich geschlossener und reifer wirkt.

In Deutschland macht sich der Film leider sehr rar und ist meines Wissens auch noch nie im Fernsehen gezeigt worden. Auf DVD ist er lediglich in der „Monster Legacy DVD Collection“ (18 Filme, drei Büsten) erschienen, wo er sich den Platz auf einer DVD mit der spanischen Version von „Dracula“ teilt. Demzufolge gibt es außer einem verstaubten Trailer auch keine Extras. Es wäre wünschenswert, dass diesem unterschätzten Kleinod aus der Universum-Filmschaffe bald die verdiente Einzelveröffentlichung zuteil wird.

Draculas Tochter (Dracula’s Daughter), USA 1936; Regie: Lambert Hillyer; Darsteller: Gloria Holden (Gräfin Marya Zaleska / Draculas Tochter), Edward van Sloan (Prof. van Helsing), Otto Kruger (Dr. Jeffrey Garth), Marguerite Churchill (Janet Blake), Irving Pichel (Sandor) u.a. – s/w, 68 min, FSK 12.



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